Samstag, 11. Juni 2011

Die "betuchten" Maximianus und Calcidonius

Die ehemalige Kloster- und heutige Pfarrkirche St. Emmeram an der Südwestecke der Regensburger Altstadt ist bekannt für seine prächtige Ausstattung durch die Gebrüder Asam. Gerne übersieht man dabei die beiden heiligen Leiber des Maximianus und des Calcidonius. Beide sind in weiße Tücher gehüllt, die Zierde ist erst über den Tüchern angebracht. Schade. Dennoch kann man bei genauerem Hinsehen den Schädel und die Gebeine erkennen.
An der Nordseite liegt der heilige Martyrer Maximianus, weich gepolstert auf rotem Samt. Die Gebeine sind - außer dem Schädel - mit Gewändern überzogen.

Die Klosterarbeit an seiner rechten Schulter zeigt etwas von der Mühe des Künstlers.

Der heilige Calcidonius liegt in einem Schrein an der Südseite. Gut erkennbar ist der Lorbeerkranz des Martyrers und die schmuckhaft angedeuteten Gesichtsteile. Sie fallen jedoch etwas zurück gegenüber der festlicheren Ausstattung Maximianus´ gegenüber, der eine Krone auf dem Schädel trägt und dessen Gesicht reicher verziert ist. Calcidonius ist aufgestützt, so als würde er wach (Auferstehung) und mahnend auf die Gläubigen blicken.
 

Hier die Beine des hl. Calcidonius, die unter dem kurzen Beinkleid hervorragen und kaum bedeckt sind. Die locker übereinandergeschlagenen Beine haben gar nichts von streng parallel gelegten Beinen eines Verstorbenen im Sarg. Eher erinnern sie mich an das berühmte "Liegebild" Goethes und wirken graziös und fast beschwingt - etwas vom "Leben in Fülle" (Joh 10,10).

Edle Sandalen

Die Reliquien des hl. Gratianus gehören zu den vier stehend angebrachten heiligen Leibern in der ehemaligen Kloster- und heutigen Pfarrkirche in Waldsassen. Das Fußdetail im Foto zeigt die Schönheit der Filigrantechnik, die Frater Adalbert Eder nach Ankunft der Reliquien um 1750 ausgeführt hat: Jeder Riemen der Sandale, jede Schleife, jede Glassteinfassung ist aus unzähligen Gold- oder Silberdrähten gezwirbelt oder geflochten. Noch heute gibt es in Waldsassen einen Kreis von Frauen, die diese Kunst der "Klosterarbeit" beherrschen und an die nächste Generation weitergeben - ein mühsames Hobby. 

Es scheint wie ein großer Widerspruch: Die Knochen des Todes vom damals schönsten und aufwändigsten Schmuck geziert. Der Glaube an die Auferstehung der Blutzeugen löst den Widerspruch: Die gefolterten und ermordeten Christen strahlen im Himmel. Die Klosterarbeit lässt uns davon etwas erahnen.  

Valentinus Diakon und Martyrer


In der Waldsassener Basilika liegt beim Magdalenenaltar der heilige Leib des heiligen Valtentinus. Er ist ausgestattet wie ein Diakon: Birett (mit Lorbeerkranz als Siegeszeichen des Martyrers), Gewand und ein Buch (Evangeliar? Messbuch?) weisen darauf hin. Auf dem Buch ist eine Schale mit dem Blutgefäß: ein altes Steingefäß wurde golden gefasst. Man vermutete darin das Blut, das der Märtyrer vergossen hatte und das von anderen Christen notdürftig gesammelt und dem Grab beigegeben wurde. 

Um 1735/40 kamen diese Reliquien nach Waldsassen und wurden von Frater Adalbert Eder gefasst und reich verziert. Außen am Schrein ist ein Marmortäfelchen eingelassen mit der Aufschrift: 
VALENTINO BENEMERETE IM PACE
DEM WOHLVERDIENTEN VALENTIN, (der) IN FRIEDEN (ruht)

Freitag, 10. Juni 2011

"Severina niedergelegt in Frieden 137 n. Chr."

Die "Augsburger Allgemeine Zeitung" berichtete am 16. August 2010 über das "Leiberfest", das jährlich an Mariä Himmelfahrt in Roggenburg gefeiert wird. Die vier Katakombenheiligen Venantius, Valeria, Laurentia und Severina werden dann aus ihren Altarschreinen genommen, von Jugendlichen mit Blumen geschmückt und in feierlicher Prozession durch Roggenburg getragen.
Früher wurden sie nur zur Fastenzeit und an besonderen Tagen gezeigt. In der übrigen Zeit verdeckten ölbemalte Tafel die Heiligen Leiber. Eine dieser Tafeln weist auf den Grabstein in den Katakomben hin: "Severina niedergelegt in Frieden 137 n. Chr."
Für den Prämonstratenser-Pater Rainer Rommens sind diese Gebeine keine "Wunder wirkenden Reliquien", sondern "ein öffentliches Zeugnis dafür, dass die Kirche auch im Untergrund lebendig bleibt".
Hier ein Video von der Prozession am 15.08.2009. Da spürt man die Liebe der Menschen zu diesen heiligen Leibern.
Oder gleich noch eins von der Prozession ein Jahr später mit vielen schönen Details:

Donnerstag, 9. Juni 2011

Der heilige Deodatus von Waldsassen im Licht

Er war der erste der zehn heiligen Leiber: Am 15. März 1687 wurden die Gebeine des heiligen Deodatus aus den Kallixtus-Katakomben Roms erhoben. Ein Regensburger Domherr - Dr. Ignatius Plebst - vermittelte, und so gelangten die Gebeine am 25. Mai 1688 ins Kloster Waldsassen. Die Bestätigungsurkunde ist noch erhalten. Da die prächtige Klosterkirche noch lange nicht fertig war, musste der "Neue" mit der Hauskapelle vorlieb nehmen. Später durfte der heilige Leib in die neue Kirche und wurde 1721 durch die Gattin des Landgerichtsdirektions-Sekretärs Sinner, Magdalena Sinnerin, für den Lohn von 456 Gulden und 56 Kreuzer filigran gefasst. Heute befindet sich der älteste Schrein Waldsassens auf dem Benediktus-Altar der Basilika.

Überliefert wird eine eigenartige Begebenheit, die dem damaligen Prior P. Nivard Christoph passiert sein soll. Brigitta Klemenz schrieb darüber 1997:
In der Nacht vom 5. auf den 6. März 1690 habe er [P. Nivard] sich nun betend in dieser Kapelle aufgehalten und kurz nach Mitternacht in den Fenstern ein glänzendes Licht wahrgenommen. Mit wachen Augen habe er dieses Licht auf den Körper des hl. Deodat fallen sehen und mit demütiger Stimme ausgerufen: ´Jesus, Maria, waß ist daß?´ Er sei daraufhin zum Ausgang geeilt, weil er das Licht nicht mehr ertragen konnte, in diesem Moment aber sei es verschwunden, und er haben begonnen, de Matutin zu beten. Christoph schließt seinen Bericht, den er einen Tag nach diesem Erlebnis niedergeschrieben hatte, mit dem Hinweis, dem hl. Martyrer Deodat könne eine größere Verehrung zuteil werden, wenn die neue Kirche erst einmal vollendet sei.
(Das Zisterzienserkloster Fürstenfeld zur Zeit von Abt Martin Dallmayr 1640 - 1690, 104f.)

Montag, 6. Juni 2011

Katakombenheilige im Merkblatt eines Schweizer Bundesamtes

Besser kann man es nicht zusammenfassen, als das schweizerische Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Kulturgüterschutz in einem Merkblatt (pdf-Format):

Katakombenheilige / Heiliger Leib: Meist in Schreinen auf Altären zur Verehrung ausgestellte Skelette aus den seit dem 16. Jahrhundert in Rom wiederentdeckten Katakomben. Man verehrte die Gebeine der Katakombenheiligen als frühe Zeugen des Christentums. Der Feststellung der Echtheit der Gebeine, ihrer authentischen Herkunft, kam große Bedeutung zu. In oft prachtvollen Zeremonien, den sog. Translationen, wurden die Gebeine zu ihren neuen Aufbewahrungsorten übergeführt. Meist wurden sie – nicht selten mit großem finanziellem Aufwand – in Klöstern (vor allem Frauenklöstern) z. T. mit aufwendigen Stoff- und Drahtarbeiten, bunten Glassteinen, Perlen, aber auch mit Gold- und Silberschmiedearbeiten verziert (gefasst).

Essenbach - macht mich neugierig

Auf der Internetseite der Pfarrei Mariae Himmelfahrt habe ich über die Ausstattung der gleichnamigen Pfarrkirche folgendes aufgeschnappt:
Der Altar des rechten Seitenschiffes ist der älteste der Altäre ... In einem reichen Akanthus- und Bandwerkrahmen ist das Altarbild des hl. Michael zu sehen, darunter in der Predella ein „Heiliger Leib". Der Brauch der sog. „Heiligen Leiber", meist mit kostbarer Klosterarbeit versehen, soll an das Martyrium früher Christen erinnern.
Vielen Dank dem Verantwortlichen der Seite. Oft werden die "Heiligen Leiber" versteckt hinter Tüchern oder Deckeln. Und man verschweigt sie gerne. Hier also ein Hinweis. Demnächst gibts mehr Infos dazu. Ich bin selber gespannt.

"Der Glückliche" an der böhmischen Grenze

Ottengrün ist ein malerisches Dörfchen bei Neualbenreuth im Norden der Oberpfalz unweit des Mittelpunkts Europas. Viele kennen das Sibyllenbad, das einen Steinwurf weit entfernt liegt. Wenige wissen vom hl. Martyrer Felix in der "Kleinen Kappl" in Ottengrün. Wenig weiß auch ich noch:
Im Rokokoschrein auf der Altarmensa ruht der hl. Leib des römischen Märtyrers Felix.
heißt es auf neualbenreuth.de. (Bild: Walter J. Pilsak auf wikipedia.de)

"Die Rückkehr der Knochenmänner"

Da staune ich nicht schlecht: Paul Hugger kommentiert in der "Neuen Züricher Zeitung" die Ausstellung über Katakombenheilige in der Moderne in Freiburg in der Schweiz: 
Vereinzelt sind sie in katholischen Kirchen noch anzutreffen, die reich verzierten Knochenmänner und -frauen des Barocks, die sogenannten Katakombenheiligen, Inbegriff einer expressiven Volksfrömmigkeit. Die Moderne hat das Verständnis für eine solche Schaustellung weitgehend verloren. Das Schicksal dieser Reliquien wird zum Paradigma einer völlig veränderten Einstellung zum Tod. Doch das letzte Wort scheint noch nicht gesprochen.
Es folgt eine spannende Schilderung, wie die heiligen Leiber nördlich der Alpen gelangten. Mutig finde ich am Schluss die Gegenüberstellung zur fast zeitgleichen "Körperwelten"-Ausstellung in Basel:
Die barocke Frömmigkeit hatte bei der Verehrung der Gebeine eines Heiligen nicht in erster Linie den Tod im Auge, sondern dessen Überwindung. Sie sah darin das Wurzelgeflecht eines Baumes, der in den Himmel ragte. Den Plastinationsanwärtern aber geht es um die Perpetuierung der eigenen Vergänglichkeit im Diesseitigen, letztlich Ausdruck einer unendlichen Daseinsverlorenheit. Für beide, Plastinate und Katakombenheilige, pilgern wir heute in die Museen, in diese Tempel und Andachtsräume ästhetischer Daseinsüberhöhung.
Bemerkenswert ist die gut beschriebene, noch aktuelle Verehrung des hl. Synesius an seinem jährlichen Fest (4. Oktober) in Bremgarten. Sowas gibt es nicht nur in der Schweiz.

Jeder Anfang ist nicht schwer ...

Heilige Leiber, also Ganzkörper-Reliquien aus der Barockzeit, faszinieren mich seit meiner Zeit in Waldsassen: 10 stehen oder liegen dort, gut sichtbar, schauen aus ihren tiefen Augenhöhlen, und wirken skuril und provozieren uns. Sie stammen aus römischen Katakomben und wollen an frühchristliche Martyrer erinnern. Welch eine harte Zeit für die Christen unter den römischen Kaisern!

Die Barockzeit hat diese Zeugen wieder gesucht, leiblich gesucht. Viele Leiber kamen damals über die Alpen und wurden geschmückt und verehrt, in Waldsassen bis heute mit einer jährlichen Heilig-Leiber-Andacht im August (s. Bild). Geschichten und Legenden ranken sich um einzelne. Und sie erinnern uns daran, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und nicht alles bleibt, was stabil scheint. Und dass unsere Hoffnung über den Tod hinausgeht.

In unserer bayerischen Heimat gibt es in vielen Kirchen und Kapellen "Heilige Leiber". Hier möchte ich von Zeit zu Zeit einige von ihnen vorstellen, Hintergründe beleuchten. Oft sind es Kleinigkeiten, die aufhorchen lassen. Viel Freude beim Lesen!


Michael Fuchs

Weitere Orte mit Heiligen Leibern

- Regensburg, St. Emmeram (2): Außerdem befinden sich hier, in gläsernen Schreinen, die Gebeine der Katakombenheiligen St. Maximianus und St. Calcidonius. (WP)
- Benediktinerinnenkloster Geisenfeld Kloster- und Pfarrkirche (bei Pfaffenhofen a. d. Ilm): Heiliger Dionysius (WP)
- Landshut-Seligenthal: Heiliger Antoninus
- Artikel Schweiz: Handel mit heiligen Gebeinen
- Schlehdorf, Dominikanerinnenkloster: St. Tertullian: http://www.flickr.com/photos/87457051@N00/4762867819/in/photostream

- München, Alt St. Peter:
- St. Märgen
- Stift Melk
- Hochaltar Mondsee mit 4 hl. Leibern an einem Altar: bda.at/image/695199551.jpg